Gerechtigkeitsreformen statt blosse Sozialreparatur

Arbeitsgemeinschaften

AfA-Niederbayern fordert weitreichende Kursänderungen

 

Plattling. Die herbe Wahlniederlage der Volksparteien stand im Mittelpunkt einer Tagung des niederbayerischen Vorstands der gewerkschaftsnahen SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen, die am vergangenen Wochenende in Plattling stattfand. Unisono wurde das Wahlergebnis als eine Zäsur bewertet, die auch die Sozialdemokraten zu weitreichenden Veränderungen zwinge. Die SPD könne erst dann wieder wachsen, wenn sie die Hoffnungen der Menschen auf eine gerechte Gesellschaft aufgreife und glaubhaft und authentisch verkörpere.

 

 

„Es reicht nicht aus, die eine oder andere Gerechtigkeitslücke zu schliessen, wie es der SPD etwa mit dem Mindestlohn ja durchaus gelungen ist“, meinte hierzu der Bezirksvorsitzende Harald Unfried aus Landshut. Die SPD müsse vielmehr ihre Wurzeln wiederentdecken und nachhaltige Antworten auf die grossen Fragen der Zeit erarbeiten. Es könne nicht nur darum gehen, im Klein-Klein der sozialen Reparaturmaßnahmen die schlimmsten Auswüchse des Kasinokapitalismus zu beseitigen. Das helfe zwar einigen Menschen für eine gewisse Zeit. Doch die Aufgabe der SPD bestehe darin, der Zukunft ein humanes und solidarisches Antlitz zu verleihen und die Teilhabe am wirtschaftlichen Fortschritt für alle Menschen zu ermöglichen. Doch der vorherrschende spekulationsgetriebene Finanzkapitalismus setze die Mittelschicht unter dauernden Druck und lasse die untere Einkommenshälfte zurück. Er vergrössere die soziale Ungleichheit und spalte die Gesellschaft, weil die Konzerngewinne und Kapitaleinkommen den Arbeitseinkommen davonliefen. Er fördere zudem Ellbogenmentalität und Überforderung statt Empathiefähigkeit und ein gutes soziales Miteinander. Längst führe das Kapital den Taktstock und nicht die demokratische Politik. Das sehe man bei den Freihandelsabkommen, die geheim verhandelt würden. Nicht einmal die gewählten Abgeordneten könnten ihren Wählern effektiv Rede und Antwort stehen. Die Sozialdemokratie dürfe sich mit dieser Entwicklung nicht abfinden. Sie müsse diese Spielart von Kapitalismus offen herausfordern.

 

„Die Beschäftigten brauchen eine Sozialdemokratie, die nicht nur soziale Korrekturen durchsetzt, sondern für tiefgreifende Gerechtigkeitsreformen steht“, schloss sich der DGB Kreisvorsitzende Thomas Müller aus Stephansposching an. Dazu gehöre etwa ein Rentensystem, dass den Normalverdienern ein deutlich besseres Auskommen im Alter sichere und dennoch die Beiträge stabil halte. Die Beispiele Schweiz und Österreich belegten, dass eine bessere Alterssicherung möglich und wirtschaftlich effizient sei. So betrug die mittlere Rente für einen österreichischen Arbeiter im Jahr 2014 1565 EUR, für einen durchschnittlichen Angestellten 2224 Euro. Zudem gebe es die Rente vierzehn Mal im Jahr. Und in der Schweiz käme man mit einem Rentenbeitrag von 8,4 Prozent zurecht, weil es keine Bemessungsgrenze gebe. Die SPD müsse deshalb Wege zu einer umfassenden Erwerbstätigenversicherung aufzeigen, die die Arbeitnehmer mit der Finanzierung des demografischen Wandels nicht alleine lasse und die Beitragsbemessungsgrenzen bei Deckelung von Höchstrenten aufhebe.

 

Die Vorstandsschaft war sich einig, dass die Wahl als Chance verstanden werden müsse, einen neuen politischen Kurs einzuschlagen. Mit einigen Personalrochaden sei es nicht getan. Vielmehr müsse es um die inhaltliche Erneuerung der Sozialdemokratie gehen. So etwa bei der Renovierung des eigenen politischen Markenkerns, der sozialen Gerechtigkeit. Denn nach den Wahlanalysen von Infratest werde die SPD nur mehr von 38 Prozent der Wahlberechtigten als die Partei wahrgenommen, die am ehesten für soziale Gerechtigkeit sorge. Das sei der niedrigste Wert der vergangenen sechs Bundestagswahlen.

 

Zudem müsse die SPD dafür kämpfen, den Vorrang der Demokratie wiederherzustellen. Dazu müsse der Einfluss von Grossbanken, Wirtschaftseliten und grossen Lobbyverbänden auf die demokratische Politik wirksam zurückgedrängt werden. Der DGB-Ortsvorsitzende Hermann di Pede (Mainburg) meinte, dass die gesamte Diskussion über die Freihandelsabkommen vom Kopf auf die Füsse gestellt werden müsse. Verhandlungen dürften nur unter der strikten Voraussetzung von Transparenz aufgenommen werden. Es dürfe in solchen Verhandlungen kein Herrschaftswissen der grossen Lobby- und Wirtschaftsverbände hingenommen werden. Denn echte Demokratie lebe geradezu von Transparenz.

 

Die SPD müsse zudem wieder dafür stehen, der grotesk angewachsenen Ungleichheit bei der Verteilung von Vermögen und Bildungschancen den Kampf anzusagen. Mit einer Vermögenssteuer bei den grossen Millionenvermögen, einer durchgreifenden Besteuerung bei der Vererbung von milliardenschweren Firmenimperien und einer Finanztransaktionssteuer gegen die Spekulation können die finanziellen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass der Staat nicht mehr knausern müsse bei der Instandhaltung von Schulen und Strassen, beim sozialen Wohnungsbau oder bei der Finanzierung einer menschenwürdigen Pflege.

 

Vor allem aber müsse die Sozialdemokratie dafür sorgen, dass der Wert der Arbeit wiederhergestellt werde und die Löhne und damit auch die Renten wieder dynamisch wachsen könnten. Prekäre Beschäftigung, gespaltene Belegschaften und zunehmender Leistungsdruck dürften nicht länger die Arbeitswelt prägen. Sozialdemokraten müssten den Missbrauch bei Werkverträgen und Leiharbeit entschlossen bekämpfen. Sachgrundlose Befristungen müssten abgeschafft werden.

 

Ganz entscheidend komme aber bei den Gerechtigkeitsreformen auf die Glaubwürdigkeit an. Denn viele richtige SPD-Forderungen aus dem Wahlprogramm beinhalteten schliesslich die Korrekturen einer Politik, die von früheren sozialdemokratischen Regierungen selbst eingeführt wurden wie etwa bei der Abgeltungssteuer oder der Parität im Gesundheitswesen. Viel zu stark hätte sich die Führungsriege der SPD nach der Milleniumswende in den damals vorherrschenden neoliberalen Mainstream einbinden lassen und diesem teilweise auch zu echten politischen Durchbrüchen verholfen. So etwa beim Rückbau der gesetzlichen Rente. Daraus resultiere unvermindert ein veritables Problem für die Authentizität und Glaubwürdigkeit der SPD. Und es sei für viele Menschen auch nicht glaubwürdig, wenn wichtige Forderungen wie etwa die Stabilisierung des Rentenniveaus erst kurz vor der Wahl aufgestellt würden. Dies werde von den Menschen unter Wahlkampf verbucht. Gerechtigkeitsreformen müssten deshalb mit langem Atem und im Zweifel auch gegen den Widerstand mächtiger Lobbyverbände durchgefochten werden, so Harald Unfried abschliessend.

 



 
 

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