Europaparlaments-Abgeordnete Maria Noichl sprach bei SPD 60plus Niederbayern Plattling. (hk)
Man konnte Hartmut Manske die Freude bei der Begrüßung der SPD-Altgenossen ansehen, nach über einem Jahr überstandener Corona-Zeiten alle Vorstandsmitglieder von 60plus Niederbayern in den „Fischerstub´n“ zur Vorstandssitzung wieder willkommen heißen zu können. Manskes besondere Grüße galten dabei dem Ehrenvorsitzenden von 60plus, dem ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Horst Kubatschka mit Gattin und der Osterhofener Ex-Bundestagsabgeordneten Bruni Irber, lange Jahre Stimmenkönigin für die SPD in Niederbayern. Als Ehrengast und Referentin war SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl gekommen. Sie ist Mitglied in sieben Ausschüssen des EU-Parlaments, darunter dem für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung. Die zukunftsgerichtete Agrarreform war deshalb auch das Thema ihres Vortrags, mit dem die Sitzung begann.
Große Namen der Politik
Noichl ging mit der EU-Agrarpolitik nicht nur hart ins Gericht. Große Namen in der Politik wie CDU[1]Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner, die Familien Kaczynski aus Polen oder Viktor Orban aus Ungarn waren dabei kein Tabu. Tenor ihres Vortrags: Durch die im Ansatz grundsätzlich falsche EU-Agrarförderungspolitik für die europäische Landwirtschaft werden die Großen immer größer, die Reichen immer reicher und Kleinen gehen vor die Hunde.
Wertvolles Ackerland sei zum gewinnbringenden Objekt für Spekulanten geworden, Pachtpreise für Ackerland seien für kleine und mittlere bäuerliche Betriebe kaum noch zu bezahlen, einer nach dem anderen müsse aufgeben.
„Warum müssen die auf[1]geben?“, stellte Noichl in den Raum und gab die Antwort gleich selbst: „Weil die Förderung der landwirtschaftlichen Betriebe nach der Hektargröße berechnet wird. Das ist genau so, als wenn man das Kindergeld nach der Größe des Kinderzimmers, und nicht nach der Anzahl der Kinder zahlen würde“, mokierte sich die Referentin, die die meisten der 27 EU-Agrarminister als „rückwärts gewandt“ bezeichnete. „Die meisten der Minister wollen, dass alles so bleibt, wie es ist. Darunter auch Bundeslandwirtschafts-ministerin Julia Klöckner, die sich auf dem warmen Schoß des Bauernverbandes sehr wohl fühlt“, kritisierte Noichl, die die Zahlen nannte:
„Es werden für die kommenden sieben Jahre 400 Milliarden Euro an die EU-Landwirte ausgeschüttet, 80 Prozent davon jedoch an die Großen“, rechnete Noichl vor und zeigte weiter auf, dass von den verbleibenden Mitteln für die Kleinen 60 Prozent der Fördergelder für Pachtleistungen an die Grundeigentümer weggehen. „Wir schütten also Geld an die Landwirte aus, die es dann an die Grundeigentümer weiterleiten müssen. Dadurch ist eine wirkliche Förderung dieser bäuerlichen Betriebe kaum noch möglich, weil mit 60 Prozent zu viel an die Pacht weggeht.
„Was macht jemand, der eine Million übrig hat?“, stellte Noichl erneut in den Raum. „Der kauft Land im großen Stil wie die Familien Kaczynski und Orban. Dann fließt das Geld aus Brüssel wie aus einer Pipeline. Dabei sollten wir mit diesen Steuergeldern dem Wort gemäß auch steuern können, nicht nur was das Wohl der Landwirte angeht, sondern auch das der Natur und dem Tierwohl“, monierte die Referentin, die die bisherigen Reformen als „Reförmchen“ bezeichnete und die die Brüsseler Landwirtschaftspolitik mit einem vernichtenden Urteil belegte.
Noichl zog folgenden Schluss: „Diese Politik ist keine Bauernpolitik. Seit Jahrzehnten heißt es
Wachsen oder Weichen, und seit Jahrzehnten sind diese perversen Zahlungen nicht gestoppt worden, mit dem Ergebnis, dass heute nur 2,7 Prozent der Betriebe bereits 50 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche Europas besitzen. Wenn das so weitergeht, dann frisst sich der Bauernstand selber auf“, prophezeite sie voller Besorgnis.
Zum Schluss kommend zitierte die EU Abgeordnete die bayerische Verfassung, worin stehe, dass der Landwirt von seiner Hände Arbeit müsse leben können und bedauerte: „Mit dieser Agrarpolitik fahren wir in eine Sackgasse. Der Weg zurück wird ein sehr langer sein.“ Appell an die EU-Politik Noichls Forderungen an die EU[1]Politik waren: „Weg von der Flächenförderung, Verbot für Investoren landwirtschaftliche Flächen zu kaufen und eine breite Eigentumsstreuung für die Bevölkerung zu ermöglichen. Denn“, so die Sozialdemokratin: „Der Kapitalismus endet erst dann, wenn einer alles hat.“
Manske bedankte sich mit einem Geschenk und riet der Allgemeinheit: „Bürger denkt daran, wie Eure Zukunft in zehn Jahren aussehen kann.“ Nach einer intensiven Diskussion wurde die Versammlung mit Ehrungen fortgesetzt.
Plattlinger Anzeiger vom 19. Juli 2021